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Kaum Kontrollen und Ausgleich bei Eingriffen in die Natur

In Sachsen wird jedes Jahr mehr Boden versiegelt.

Doch überprüfen die Behörden auch, ob dafür Ausgleich geschaffen wurde? Neue Zahlen zeigen alarmierende Defizite. Das ärgert am Ende auch Autofahrer.

Chemnitz. Es war ein Mega-Projekt des vergangenen Jahrzehnts in Sachsen: Auf 45 Kilometern wurde die Bundesautobahn 17 Dresden-Prag bis zur Landesgrenze gebaut – inklusive acht Anschlussstellen und zehn Großbrücken. Eine Fläche von 200 Fußballfeldern wurde mit Beton versiegelt. Nach dem Naturschutzgesetz sind dafür Kompensationsmaßnahmen umzusetzen. Doch auch über elf Jahre nach Fertigstellung der Autobahn gibt es hier Defizite: Über 100 Ausgleichsprojekte wurden noch nicht einmal begonnen.

Diese Mängel-Liste ist Teil der Antwort des sächsischen Umweltministeriums auf eine Landtagsanfrage der Grünen vom vergangenen Sommer. Der Abgeordnete Wolfram Günther wollte damals wissen, in wie fern die Eingriffe in die Natur beim Bau der A 17 ausgeglichen wurden. Jetzt fragte Günther zu den Kompensationsmaßnahmen in Sachsen insgesamt nach. Ergebnis: Das Vollzugsdefizit im Naturschutz bei der A 17 ist kein Einzelfall.

Nach Angaben von Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) hat die Landesdirektion Sachsen zwischen 2008 und 2017 insgesamt 889 Bescheide mit festgelegten Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen für Bauprojekte erlassen. Im selben Zeitraum wurden dazu aber lediglich 35 Kontrollen durchgeführt. Dabei stellte die Behörde fest: In nur 19 Fällen waren die Maßnahmen vollständig umgesetzt worden. Bei Kompensationsmaßnahmen in Verantwortung der Straßenbauverwaltung des Freistaates verzichtete man komplett auf Kontrollen. Begründung des Umweltministeriums: Für Verkehrsvorhaben seien öffentliche Planungsträger verantwortlich, „die an Recht und Gesetz gebunden sind“ und von denen man eine Umsetzung erwarten dürfe.

Der Grünen-Abgeordnete Günther schlussfolgert: „In Sachsen herrscht im Umweltbereich ein erschreckendes Vollzugsdefizit.“ Offenbar seien die zuständigen Behörden personell und fachlich nicht ausreichend in der Lage, die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu kontrollieren, anzumahnen und erforderlichenfalls durchzusetzen.

Mangelnde Kontrolle beklagt hier auch der Landesrechnungshof in seinem aktuellen Jahresbericht. Darin werden Versäumnisse der Unteren Naturschutzbehörden der Landkreise und anderer Genehmigungsbehörden benannt. Die Landesdirektion Sachsen habe ihre Fachaufsicht nicht ausgeübt.

Manfred Sonntag, ein Naturschützer aus Oberlungwitz im Landkreis Zwickau, versuchte einst, die Ausgleichsmaßnahmen für den Neubau des Sachsenrings im Jahr 2000 zu kontrollieren. „Für vernichtete geschützte Biotope wurden dort 4,2 Hektar als Ausgleichsfläche festgelegt“, berichtet Sonntag. Geschaffen wurden diese Flächen nach seinen Aussagen nie. „Wir haben Behörden bis zum Umweltministerium angeschrieben.“ Man habe nie konkrete Antworten bekommen.

Der Naturschutzverband Sachsen (Nasa) sieht hier ein Totalversagen der Behörden. „Ich kenne nur wenige gute Ausgleichsmaßnahmen, die dauerhaft Bestand haben“, sagt der Nasa-Vorsitzende Tobias Mehnert. Seine Erfahrung bei der Bodenversiegelung: „Es wird schon viel zu wenig Ausgleich festgelegt. Davon wird dann vieles nicht umgesetzt – und schon gar nicht die Wirksamkeit kontrolliert.“

Der Nasa finanziert seine Naturschutz-Arbeit, in dem er Flächen aufkauft, sie renaturiert und sie als Ausgleichsmaßnahmen für Bauprojekte anbietet. Zugleich verhindert er immer wieder mit Klagen, dass umstrittene Bauprojekte genehmigt werden. Dazu gehören aktuell etwa die Ortsumgehungen in Freiberg und Flöha. „Wenn die Ausgleichsmaßnahmen funktionieren würden, wäre für uns so mancher Eingriff noch tolerierbar“, sagt Mehnert. Angesichts der jahrzehntelangen negativen Erfahrungen verteidige man die verbliebenen Naturräume heute jedoch kompromisslos.

Quelle:// Freie Presse Ausgabe vom 14.01.2018/ Autor: Oliver Hach

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