Zum Hauptinhalt springen

Der mit den Wölfen heult

Wolfsforscher Werner Freund im Saarland – Rückkehr der wilden Tiere nach Ostdeutschland

Mythos Wolf

von Kurt de Swaaf

Merzig. Vielleicht will er seinen Artgenossen etwas mitteilen, vielleicht ist es auch einfach nur ein Ausdruck von Freude. Der Wolf, ein kräftiges, fast schwarzes Männchen, hat sich aufgerichtet, geschüttelt und begonnen, leise zu singen. Denn heulen kann man das eigentlich nicht nennen. Das Tier stößt einen langgezogenen Ton aus, verhalten und klar. Danach variiert es die Stimmlage, dreht langsam den Kopf und scheint auf Antwort zu waten. Es ist ein schönes Geräusch, gar nicht beunruhigend oder gar angsteinflößend. Ein Lied, aber nicht von Menschen oder Vögeln gesungen.

Ort des Geschehens: ein Waldstück am Ortsrand der Kleinstadt Merzig im Saarland. Dort liegt der Wolfspark von Werner Freund. In den weitläufigen Gehegen leben insgesamt 25 Wölfe verschiedener Herkunft: europäische Tiere aus Schweden und dem Baltikum, weiße Arktische Wölfe, sibirische und auch kanadische Waldwölfe. Die Anlage wurde 1975 mit vier Jungtieren gegründet. Der Park ist mehr als nur eine Art Zoo, erklärt Freund. „Das Ziel ist hier, die Beziehung Wolf- Mensch, Mensch-Wolf zu ergründen”. Der Mann stammt aus einer nordhessischen Förster- und Schäferfamilie und bekam als neunjähriger Junge von einem Onkel einen altdeutschen Schäferhund geschenkt. Eine prägende Erfahrung.

Sein erster Wolf, Ivan genannt, war ein wild geborener Welpe aus dem damaligen Jugoslawien. Werner Freund’kaufte ihn 1972 per Zeitungsinserat. Ivans Nachkommen bildeten später den Grundbestand für den Merziger Wolfspark. Freund hat sich darauf spezialisiert, die Kommunikation der Wölfe zu verstehen und von ihnen praktisch als Artgenosse akzeptiert zu werden. Nur so könne man zu neuen Erkenntnissen gelangen, meint der 78-Jährige. Durch die unmittelbare Nähe zu den Tieren lassen ihn zum Beispiel Wolfseltern zu ihren Jungen. So fand Freund heraus, dass Welpen entgegen der früher gängigen Lehrmeinung bereits 13 Tage nach der Geburt beginnen, mit den Alten mitzuheulen. „Von dem Alter an heule ich mit allen Jungwölfen, damit sie lernen, meine Stimme zu erkennen.“

Die Gewöhnung ist jedoch nicht immer einfach. Es ist Futterzeit. Werner Freund nimmt einen Eimer mit rohen Hühnchenteilen und öffnet das Tor zum Gehege der Arktischen Wölfe. Die Tiere warten schon. Elegant trotten sie am Zaun entlang und über den Futterplatz, die Ohren neugierig in die Höhe gestreckt. Unter ihnen sind vier Jungwölfe, die in diesem Sommer geboren wurden. Um zu demonstrieren, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Wolf funktionieren kann, legt sich Freund auf den Boden und nimmt ein Stück Fleisch in den Mund. Eines der Jungtiere kommt heran und schnappt sich den Happen. Ein seltsames Schauspiel, denkt man als Laie vielleicht, doch die Handlung hat einen Sinn.

Werner Freund hat sich das Vorhalten von Futter mit dem Mund vom Leitwolf dieses Rudels abgeschaut. Arktische Wölfe fressen nicht gerne vom Boden, erklärt der Experte. Dementsprechend bieten die Eltern ihren Jungen das Essen im Maul an. Der Eimer ist leer, die Wölfe sind offenbar satt, auch wenn die Fleischmenge nicht besonders groß war. Es gibt kein Gebettel, so wie man es von Hunden kennt. Entgegen den üblichen Vorurteilen sind Wölfe nicht gefräßig. Sie kommen problemlos tagelang ohne Futter aus – was in freier Wildbahn durchaus erforderlich ist, wenn keine Beute gemacht wird. Sobald es aber wieder reichlich Nahrung gibt, können die Tiere aber auch regelrecht bunkern und mehr als zehn Kilo Fleisch in einer Mahlzeit verzehren. Danach wird erst mal geschlafen.

Werner Freund hat das Gehege verlassenn und schaut vom Wegesrand zufrieden auf seine Schützlinge. Die haben sich vom Futterplatz zurückgezogen. Die meisten sind bereits wieder im Unterholz verschwunden. Zwei stehen noch auf einem mit dichtem Adlerfarn bewachsenen Erdwall. Es fängt an zu regnen. Freund neigt den Kopf seitwärts und stimmt zum Abschied ein lautes, knarzig klingendes Heulen an. Die Tiere antworten. Bald heult es im ganzen Wald, aus allen Gehegen. Freund lächelt verschmitzt.

Zugegeben: Die Arbeit des Wolfsmannes mag vielleicht nicht den gängigen akademischen Standards entsprechen. Aber Freund leistet dennoch einen wertvollen Beitrag für den Artenschutz. Mit seinem Park hilft er, breite Bevölkerungsschichten für Wölfe zu begeistern und Vorurteile abzubauen. Das ist leider noch immer nötig. Jahrhundertelang wurden die Tiere gnadenlos verfolgt. Ein wahrer Vernichtungsfeldzug, der in Deutschland 1845 sein trauriges Ende hatte. Damals wurde das wohl letzte einheimische Exemplar von „Canis lupus“ in Sachsen erlegt. Andere Wölfe, die vom Osten her ab und zu einwanderten, ereilte dasselbe Schicksal.

Erst nach der Wiedervereinigung wendete sich das Blatt. 1990 wurde die Art in Deutschland unter Schutz gestellt. Sechs Jahre später tauchte das erste Tier auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Oberlausitz auf.
Nummer zwei folgte 1998. Unter Biologen machten diese Nachrichten schnell die Runde. Begeistert waren sie, als im Jahr 2000 im selben Gebiet die ersten Welpen geboren wurden. Deutschland war wieder Wolfsland geworden.
Das erfreute allerdings nicht jeden. Uralte Ängste kamen wieder auf. Man könne bald seine Kinder nicht mehr im Freien spielen lassen, glaubten manche. Und tun das zum Teil auch heute noch. Der böse Märchenwolf geht um, in den Köpfen, versteht sich. Dazu kommen der Ärger vieler Viehhalter und der Futterneid einiger Jäger. Sie
sehen den Wolf als Schädling und Konkurrenten, der ihnen die Schafe, Hirsche und Rehe wegfrisst.

Die Probleme seien lösbar, wie Fachleute betonen. Die Viehrisse lassen sich durch wirksames Einzäunen verringern. Und es gibt zudem die Möglichkeit einer staatlichen Entschädigung. Auch die Jagd muss anscheinend nicht ernsthaft betroffen sein. Der Wolf spielt dort, wo er vorkommt, als Regulator eine zentrale Rolle. Kranke und schwächere Beutetiere fallen ihm in der Regel als Erste zum Opfer. Beobachtungen aus Skandinavien und dem Baltikum zufolge gehen gesunde Wildbestände und Wölfe bestens zusammen. In den sächsischen Wolfsgebieten konnte bislang keine Abnahme der Rehpopulationen festgestellt werden – trotz der stetig steigenden Anzahl an Wolfsrudeln. In der Lausitz leben mittlerweile sogar acht solcher Verbände.

„Canis lupus“ ist also zurück. Und er ist gekommen, um zu bleiben. Seine Chancen ständen nicht schlecht, meint der Wildbiologe Janosch Arnold von WWF Deutschland. „Der Wolf ist eines der anpassungsfähigsten Säugetiere, die wir haben.“ Nahrungsverfügbarkeit und Rückzugsgebiete für das Aufziehen von Nachwuchs sind für eine Wiederansiedlung die entscheidenden Faktoren. „Da gibt es in Deutschland noch viel Raum“, sagt der Wissenschaftler. Potentielle Wolfsreviere gebe es deshalb nicht nur in den östlichen Bundesländern, sondern auch in waldreichen Mittelgebirgsregionen des Westens. Die Tiere mieden zwar Gebiete mit dichter Infrastruktur, Autobahnen und dergleichen, erklärt Arnold, „aber sie brauchen keine sibirischen Weiten“. Vielleicht müssen wir bald nicht mehr in einen Wolfspark gehen, um den Gesang eines Rudels zu hören.

Copyright Genossenschaftliche Allgemeine, Ausgabe 2, November 2011

Link: Petition zum Schutz des Wolfes – Der Wolf gehört nicht ins Jagdgesetz!


GRÜNE LIGA Sachsen e.V. – Netzwerk Ökologischer Bewegungen
Landesbüro
Schützengasse 16/18
01067 Dresden

Tel: +493514943350
Fax: +493514943450
E-Mail: ed.agileneurg@neshcas
www.grueneliga-sachsen.de

VISIONEN haben – NETZWERK knüpfen – HANDELN anregen

Zurück